Immer mehr Software Entwickler*innen kündigen weltweit aus Unzufriedenheit ihre Jobs und hierzulande können sich aktuell gut drei Viertel aller IT-Fachkräfte vorstellen, ihren Arbeitsplatz zu wechseln.
Firmen wie Microsoft und Bitpanda versuchen mit Gehaltserhöhungen und attraktiven Benefit-Paketen dem Big-Developer-Quit entgegenzuwirken. Aus welchen Gründen kündigen Developer tatsächlich und was kann man als Unternehmen dagegen tun?
Recruiting und Personalentwicklung von IT-Fachkräften in der Dauerkrise
IT-Recruiting wird als „Achillesferse von Personaler*innen“ stets heiß diskutiert, was hingegen weniger Aufmerksamkeit bekommt sind all die passiven Kandidat*innen, die kurz davor sind, ihren Job zu wechseln. Diese sollten im Lichte des momentanen Fachkräftemangels von Recruiter*innen und Personalentwickler*innen gleichermaßen fokussiert werden: Was bewegt Entwickler*innen dazu, den Arbeitgeber zu wechseln? Und was machen Unternehmen richtig, die weiterhin eine niedrige Fluktuationsquote bzw. hohe Mitarbeiterzufriedenheit aufweisen?
Warum Software Entwickler*innen jetzt ihren Job wechseln
In der WeAreDevelopers-Survey 2022 haben wir Software Entwickler*innen aus dem DACH-Raum danach befragt, was sie dazu bewegen würde, sich einen neuen Job zu suchen. Die Ergebnisse reflektieren die Vielschichtigkeit der Problematik rund um Arbeitsbedingungen und Wünsche von Developern:
Das Personalmanagement und die Unternehmensführung sind mehr denn je gefordert, diese Wirkungsfaktoren sowohl individuell als auch systematisch anzugehen – denn wer jetzt nicht aus den eigenen Fehlern lernt, wird über kurz oder lang qualifizierte Software Entwickler*innen an andere Unternehmen verlieren.
Gehalt ist nur der Gipfel des Eisbergs
Ein faires, wettbewerbsfähiges Gehalt ist für die Hälfte aller IT-Fachkräfte ein wichtiger Bestandteil der Jobzufriedenheit. Angesichts der der hohen Nachfrage nach Software Entwickler*innen am Stellenmarkt fallen Gehaltvorstellungen momentan allerdings bis zu 30 Prozent höher aus. Für Arbeitgeber ist es wesentlich günstiger, bestehende Mitarbeiter*innen mit einer Lohnerhöhung zu halten.
Wenn man dem Trend der letzten Jahre folgt, vollzieht sich langsam aber sicher eine Wende unter Developern: die Bedeutung von hohem Gehalt und fixem Arbeitsplatz tritt hinter „weiche“ Faktoren wie ein gutes Arbeitsumfeld oder flexiblen Arbeitsbedingungen zurück.
Motivation durch fachliche Herausforderung
Laut unserem Report sehnen sich 37 Prozent der Developer*innen nach Unterstützung der persönlichen Weiterentwicklung durch den Arbeitgeber. Demgegenüber führen Langeweile im Job und unklare Zielsetzungen im Projekt bei jeder fünften Person schon nach wenigen Monaten zur Kündigung.
Langeweile ist der Feind von Motivation
Die meisten Programmierer*innen wollen in ihrer Arbeit herausgefordert sowie inspiriert werden und an interessanten Projekten wachsen. Software Entwicklung an sich ist ein schnelllebiges uns wandelbares Feld – wer den Beruf ernsthaft ausübt, muss am Ball bleiben und lernt gerne Neues dazu.
Projektmanager*innen sollten daher darauf achten, dass jedes Teammitglied eigenverantwortliche Aufgaben hat, jedoch nie länger als ein paar Monate am selben Projekt oder den gleichen Tasks arbeitet. Unternehmen wie Google und Atlassian sind bekannt dafür, ihren Mitarbeiter*innen regelmäßig Arbeitstage zu gewähren, an denen sie an eigenen Passionsprojekten arbeiten können – was auch für das Unternehmen Mehrwert haben kann.
Mehr Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung
Mehr als ein Drittel der Developer*innen wünscht sich durch zusätzliche Trainings und Developer-Konferenzen weiterzubilden. Darüber hinaus sind Schulungsangebote eine Notwendigkeit, wenn Entwickler*innen sich für neuere Gebiete wie Künstliche Intelligenz oder Cloud Technologie interessieren. Hochschulabschlüsse sind längst nicht mehr der einzige Weg, Qualifizierungen zu erwerben oder zu beurteilen – anhand eines vielfältigen Angebots von Up-/Reskilling- und Ausbildungsprogrammen erweitern Sie den externen wie auch internen Kandidat*innenpool und fördern Karrierewege innerhalb des Unternehmens.
IT-Fachkräfte brauchen eine gesunde Arbeitsatmosphäre
Die Corona-Pandemie hat besonders IT-Personal viel abverlangt – kein Wunder also, dass jeder dritte Software-Engineer eine Kündigung in Erwägung zieht, wenn eine schlechte Arbeitsatmosphäre oder stressige und ineffiziente Arbeitsbedingungen herrschen.
Rassismus und Diskriminierung von Frauen begegnen Mitarbeiter*innen in technischen Berufen leider immer noch häufig, aber auch Ungereimtheiten zwischen Teammitgliedern und schlecht konzipierte Arbeitsumgebungen tragen zu einer toxischen Atmosphäre im Büro bei. HR und Führungsebene haben die Aufgabe, solche Spannungen und Konflikte aufzuspüren und Lösungsstrategien zu erarbeiten – am besten gemeinsam mit betroffenen Mitarbeiter*innen und externen Coaches oder Mediator*innen.
Stress und Burnout vorbeugen
Bei remote working, Homeoffice und flexiblen Arbeitszeiten bleibt das „Wie geht es dir?“ an der Kaffeemaschine auf der Strecke, physische und psychische Anzeichen von Überarbeitung sind schwieriger zu erkennen. Um Burnout und Dauerstress vorzubeugen, liegt es an Vorgesetzten, regelmäßige persönliche Check-ups zu machen, jedoch ohne Micromanagement. Als Brücke zwischen Developer-Team und Business stellen sie Support und Mentoring bereit, beurteilen Ressourcen im Team und optimieren ineffiziente Strukturen.
Führungsstil und Unternehmensorganisation
„Fast jeder Dritte ist von der Beziehung zu seinem oder ihrem Vorgesetzten enttäuscht“, stellt Rudi Bauer, CCO von WeAreDevelopers, fest. Ein heikles Thema, da Kritik selten Führungskräfte direkt erreicht. Auch im Mitarbeitergespräch mit der HR besteht die Tendenz, eher allgemein über Probleme im Team oder Projekt zu sprechen. Als Schnittstellen können Personalentwickler*innen Möglichkeiten für anonymes und persönliches Feedback bereitstellen – besonders digitale Tools liegen Developer*innen, ebenso geben informelle Gespräche zwischendurch Aufschluss über laufende Spannungen.
Transparente Strukturen und offene Feedbackkultur erwünscht
Auch unklare Beförderungen (23 Prozent) und interne Hierarchien (14 Prozent) sowie eine schlechte Integration ins Team (16 Prozent) schwächen das Vertrauen von Developern in das Management und das Unternehmen selbst. Spätestens wenn sich dies auf die Teamperformance und Fluktuationsrate auswirkt, sollte die HR gemeinsam mit der Führungsetage hinterfragen, ob es an der Zeit ist grundlegende Organisationsstrukturen umzustellen. Ziel ist eine Arbeitsumgebung, in der eine Fehlerkultur mit transparenter Kommunikation gelebt wird und produktives Feedback erwünscht ist – sowohl innerhalb des Teams als auch mit den Vorgesetzten.
Auch Developer brauchen Sinn und Zugehörigkeit
Developer bewältigen täglich komplexe Aufgaben und analytische Herausforderungen. Was Teamleader und Vorgesetzte allerdings nicht vergessen dürfen ist, dass die Arbeit von Entwickler*innen ebenso ein hohes Maß an Kreativität und Weitblick erfordert. Jede*r Fünfte würde sich nach einer neuen Stelle umsehen, wenn er oder sie auf Dauer weder stolz auf die eigene Arbeit ist noch Bedeutung in ihr findet. Immerhin 11 Prozent der Software Entwickler*innen wünschen sich zudem mit ihrem Job einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben.
Die Vermittlung des gemeinsamen „Purpose“ ist also nicht nur ein Thema für das Employer Branding. Developer*innen sind motivierter und loyaler zum Arbeitgeber, wenn sie sich als Teil eines großen Ganzen fühlen und ein Stück Verantwortung für die kollektive Vision des Unternehmens tragen. Eine der Hauptaufgaben von Führungskräften besteht darin, das Team für die globalen Ziele des Unternehmens zu begeistern und ihnen zu vermitteln, welchen Wirkungsradius die Arbeit jedes Teammitglieds hat. Raum zum Ausprobieren und Scheitern muss gegeben sein, denn genau dort entsteht Innovation.
Developer sind eine Community
Ebenso wertvoll wie der Purpose ist ein Gefühl von Zusammengehörigkeit, sowohl im Team als auch in der größeren Community von Developer*innen und IT-Fachkräften. Wenn Sie Teammitglieder dazu befähigen, die Szene auf Konferenzen, Messen, in Webinaren, Hackatons etc. aktiv mitzugestalten, zeigen Sie Wertschätzung und positionieren das Unternehmen gleichzeitig mit Brand Ambassadors am Markt.
Entgegen dem Klischee der introvertierten Einzelgänger sind Entwickler*innen gerne Teil einer Gemeinschaft – für ein Zehntel sind Teambuilding-Events oder gemeinsame Reisen sogar ein Muss. Im Dropbox Headquarter sorgen ein hauseigenes Café und Raumangebote für Spiel und Entspannung zusätzlich für Austausch, den vor allem konzentrierte Arbeiter*innen wie Programmierer*innen neben remote work und Co. willkommen heißen.
Fazit: Software Entwickler*innen sind auch nur Menschen
„Developer sind auch nur Menschen“, stellt Rudi Bauer fest. „Sie möchten zum einen konzentriert arbeiten können, schätzen aber auch Gesellschaft und den persönlichen und fachlichen Austausch. Arbeitgeber, die das berücksichtigen und sie noch dazu mit spannenden Projekten und verständnisvollen Vorgesetzten überzeugen können, haben im Wettbewerb um die besten Köpfe gute Chancen.“
Viele Probleme im Unternehmen lassen sich relativ einfach lösen, wenn die Führungsebene kritikfähig ist und ihren IT-Mitarbeiter*innen aktiv zuhört. Ein Arbeitsumfeld, dessen Unternehmenskultur oder Führungskräfte Developer*innen ausklammern, führt hingegen früher oder später zur „great developer resignation“.